Feldvermessung: Was die einzelnen Sektoren in der offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie Altenhilfe leisten

Sekundäranalyse im Auftrag der Bertelsmann Stiftung

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Eine Vermessung der beiden Felder offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) sowie offene Altenhilfe ist das Vorhaben dieser Studie. Die Annahme war hierbei, dass der Dritte Sektor – und insbesondere das freiwillige Engagement – eine weit größere Bedeutung hat, als ihm in Strukturen, Abstimmungsprozessen und in der Wahrnehmung verantwortlicher Akteure gegeben wird. Für die Praxis würde sich damit die Frage stellen, wie angemessene Strukturen aussehen müssten.

Die Studie setzt genau hier an. Ihre Leistung besteht darin, bestehende Daten zusammenzutragen und damit weiße Flecken aufzuzeigen, wo relevante Daten für eine differenzierte Betrachtung der Wohlfahrtsproduktion noch fehlen. Zentrale Herausforderung bildete dabei die Tatsache, dass beide Handlungsfelder über keine Daten zur Grundgesamtheit verfügen (im Hinblick auf Angebote, Personalstrukturen, Einrichtungen).

Die Feldvermessung für die (offene) Kinder- und Jugendarbeit kommt zu folgenden zentralen Ergebnissen:

  • 20 Prozent der offenen Angebote finden ohne Mitarbeit von Haupt- oder Nebenamtlichen statt.
  • 51,5 Prozent der Angebote werden unter Mitarbeit freiwillig Engagierter durchgeführt.
  • 55 Prozent der Angebote greifen auf Unterstützung von Honorarkräften, geringfügig Beschäftigten oder auch Praktikanten zurück.
  • Freiwilliges Engagement ist in einrichtungsbezogenen Angeboten besonders hoch, während nur wenige Engagierte im Bereich mobiler Angebote und Spielplätze aktiv sind.
  • Ausschließlich durch freiwilliges Engagement betriebene Einrichtungen und Angebote werden derzeit von keiner Erhebung erfasst.
  • Freiwilliges Engagement in der gesamten Jugendarbeit ist primär bei freien Trägern verortet. 80 Prozent der freien Träger agieren unter Mitarbeit von Ehrenamtlichen.
  • Jugendverbände sind wichtige Akteure für Leistungen der (offenen) Kinder- und Jugendarbeit. Die Grenzen zwischen offener und verbandlicher Jugendarbeit verschwimmen.
  • Freie Träger arbeiten stärker mit Teilzeitbeschäftigten als öffentliche Träger.
  • Die offene Kinder- und Jugendarbeit macht im Schnitt 4,5 Prozent an den Gesamtaufwendungen für die Kinder- und Jugendhilfe (37,8 Mrd. Euro) aus.
  • Öffentliche Gelder fließen größtenteils in kommunale Träger. Freie Träger sind auf alternative Finanzquellen angewiesen.
  • Auf einen hauptberuflich Beschäftigten in der OKJA kommen hochgerechnet fünf freiwillig Engagierte (Daten aus NRW).

Die Ergebnisse der Strukturdatenerhebung für Nordrhein-Westfalen sowie der KVJS-Erhebung für Baden-Württemberg deuten darauf hin, dass die für die Feldvermessung herangezogenen Größen in den Bundesländern, besonders im Hinblick auf die Trägerstrukturen, variieren. Wovon dies im Einzelnen abhängt, muss in weiteren Studien untersucht werden. Mit der neu konzipierten Statistik zu Angeboten der Jugendarbeit wurde ein wichtiger Wissensbeitrag zum freiwilligen Engagement im Feld geleistet und Jugendverbände als wichtige Akteure der offenen Arbeit identifiziert. Inwieweit diese Verwischung der Grenzen zwischen verbandlichen und offenen Einrichtungen Einfluss auf das Engagement haben wird, bleibt noch zu untersuchen. Weiterhin mangelt es an Wissen zu rein ehrenamtlich betriebenen Angeboten und Einrichtungen, die keine staatlichen Förderungen erhalten und folglich von der amtlichen Statistik nicht erfasst werden. Qualitative Studien könnten hier eine sinnvolle Ergänzung zu quantitativen Erhebungen darstellen, Ansatzpunkte zu Fragen der Finanzierung, Organisation und Engagement liefern und somit auch Forschungslücken schließen.

Für die Altenhilfe kann konstatiert werden, dass es sich um ein empirisch stark vernachlässigtes Feld handelt. Daten zu niedrigschwelligen Angeboten sind kaum bis gar nicht vorhanden, sodass die aufgezeigten Ergebnisse lediglich als Anhaltspunkte gedeutet werden können. Über die Ursachen dieser schlechten Datenlage kann nur gemutmaßt werden.
Primär finden im Feld Pflegethemen Beachtung, so dass man der Wissenschaft unterstellen kann, sie fokussiere sich auf Themen der praktischen Sozialpolitik. Auch die mangelnden rechtlichen Verpflichtungen in dem Handlungsfeld können mit ein Grund für die unzureichende Studienlage sein. Für den Bereich der (offenen) Altenhilfe ergeben sich folgende zentrale Ergebnisse:

  • Es gibt keine Statistik, die Aussagen zu öffentlichen Trägern und ihrem Beitrag in der (offenen) Altenhilfe erlaubt.
  • Freie Träger der Wohlfahrtspflege unterhalten 4.450 Einrichtungen der (offenen) Altenhilfe, was insgesamt ein Viertel ihrer Gesamtangebote in der Altenhilfe (einschließlich Pflege) darstellt.
  • Freie Träger beschäftigen in dem Handlungsfeld zu 75 Prozent Teilzeitkräfte.
  • Es existieren keine Daten über das Engagement in der (offenen) Altenhilfe, weder bei freien noch bei öffentlichen Trägern.
  • In der überwiegenden Anzahl von Städten und Gemeinden wird kein Geld für das Handlungsfeld Altenhilfe ausgegeben. Die kommunalen Ausgaben liegen bei 0,04 Prozent der Gesamtausgaben (27,4 Mrd. Euro) für Sozialhilfe.

Besonders im Kontext des fortschreitenden demographischen Wandels und der Debatte über die Relevanz präventiv wirkender Angebote erstaunt die schlechte Datenlage in der (offenen) Altenhilfe. Gerade um Wirkungen in diesem Handlungsfeld empirisch zu untermauern und die Sichtbarkeit für Politik, Praxis und Wissenschaft zu erhöhen, sollte hier die Studienlage verbessert werden. Dies ist in Zeiten schrumpfender kommunaler Mittel relevant, damit (offene) Altenhilfe als freiwillige kommunale Leistung gesehen wird und bestehen kann.

In der Altenhilfe bedarf es Grundlagendaten zur Größe und zum Umfang staatlich getragener Angebote, da diese aus keiner Statistik ersichtlich werden. Auch im Hinblick auf Angebote und freiwilliges Engagement braucht es weitere Forschung. Dominieren im Feld aufsuchende Angebote wie Beratungs- und Hausmeisterdienste oder einrichtungsbezogene Angebote wie Seniorencafés und Sportgruppen? Welche niedrigschwelligen Angebote gibt es grundsätzlich und wie werden sich diese in Zukunft weiterentwickeln? In welchen Bereichen der offenen Altenhilfe engagieren sich Menschen und welche Größe stellen diese freiwillig Engagierten in der Leistungserbringung dar? Und welche Rolle werden zukünftig private Anbieter im Bereich der Altenhilfe spielen?

Auch wenn unterschiedliche Akteure niedrigschwellige Angebote im Feld realisieren und eine Grundgesamtheit – ähnlich wie es im Feld der OKJA der Fall ist – nicht zu erfassen sein wird, so bedarf es eines Zuwachses an Informationen im Bereich der Altenhilfe, die als Basis für die weitere, nachhaltige Ausgestaltung der Sozialpolitik in einer immer älter werdenden Gesellschaft dienen können.

Bibliografische Angaben

Dr. Holger Krimmer / Magdalena Skurnog:
Feldvermessung: Was die einzelnen Sektoren in der offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie Altenhilfe leisten
Sekundäranalyse
Herausgegeben von der Bertelsmann Stiftung
Berlin, Juni 2017
38 Seiten